Heimatfreund: Ein Megalithgrab bei Köchstedt?
Am Rande des Teutschenthaler Ortsteils Köchstedt im Saalekreis, westlich von Halle/Saale, erhebt sich auf einem sanften Hügel ein archaisch wirkendes Monument (Abb. 1). Seine aus dunkelbraunen Steinblöcken errichtete gedrungene Gestalt vermittelt bewusst den Eindruck eines prähistorischen Megalithgrabes. Der durch flankierende Stelen und eine breite Freitreppe hervorgerufene repräsentative Charakter erinnert wiederum an eine Denkmalanlage. Doch wann und zu welchem Zweck wurde das Bauwerk errichtet? Mit diesen Fragen hatte sich bisher niemand intensiv auseinander gesetzt. In der regionalgeschichtlichen Literatur findet das Monument keinerlei Erwähnung. Selbst das 1997 erschienene Denkmalverzeichnis des Saalkreises lässt die Köchstedter Anlage völlig außer Acht. Sogar bei den Einheimischen ist deren Bedeutung inzwischen längst in Vergessenheit geraten. Manche sehen darin ein Hünengrab, andere wiederum bezeichnen es als Nazi-Denkmal.
Aktuelle Nachforschungen ergaben, dass es sich bei der rätselhaften Anlage um ein Kriegerdenkmal handelt. Die darin verbauten Steine – darunter vor allem sechs massive Blöcke und Platten aus heimischem Braunkohlenquarzit – wurden 1925 auf einem Acker nördlich von Köchstedt ausgepflügt und gehörten ursprünglich zu einem prähistorischen Grabbau. Der schwedische Archäologe Dr. Nils Niklasson von der damaligen Landesanstalt für Vorgeschichte in Halle war eigens zur Inspektion des Funds angereist. Neben der markanten Ost-West-Ausrichtung der Anlage fiel ihm besonders deren exponierte Lage am Rand eines dortigen Höhenplateaus, hoch über dem Würdebach, auf. Skelettreste und Beigaben zur eindeutigen Identifikation der Steinsetzung als Grab konnten damals allerdings nicht beobachtet werden. Auf Grund dieser Tatsache wurde anfänglich ein Bestattungshintergrund ausgeschlossen. Später wurde der archäologische Befund allerdings als Scheingrab eines „fern der Heimat gefallenen germanischen Helden“ gedeutet, für welchen man stellvertretend einen vergänglichen organischen Stoff niedergelegt hätte.
Neue Untersuchungen legen dagegen die Vermutung nahe, dass aus den steinernen Komponenten ursprünglich eine beengte Steinkiste konstruiert worden war, die von zwei massiven Blöcken überdeckt wurde (Abb. 2). Mit hoher Wahrscheinlichkeit diente das Steinkistengrab zur Aufnahme einer Körperbestattung in extremer Hocklage. Das Fehlen von anthropologischen Resten und Grabbeigaben kann mit sekundären Einflüssen wie Tierfraß, Beraubung oder auch dem Bodenmilieu – in Verbindung stehen. Eine Deutung als Kenotaph bzw. Leer- oder Scheingrab ist zwar nicht gänzlich auszuschließen, scheint aber vor diesem Hintergrund fraglich. Ob es sich dabei um ein Flachgrab handelte oder die Bestattung durch eine Hügelaufschüttung oberirdisch gekennzeichnet war, muss auf Grund fehlender Indikatoren und infolge der langwierigen intensiven landwirtschaftlichen Nutzung des Fundgeländes offen bleiben.
Charakteristika wie Lage, Ausrichtung und Art des Grabbaus geben Anlass, einen Entstehungszeitraum vom Mittel- bis zum Endneolithikum, also vom 4. bis zum Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. anzunehmen. Auf Grund der megalithisch wirkenden massiven Deckblöcke und in Anbetracht einer Bestattung nach vermutlichem Baalberger Ritus, welche 1934 in einer Sandgrude unweit nördlich der Fundstelle entdeckt wurde, ist das Köchstedter Steinkistengrab tendenziell der Baalberger Kultur (4000–3400 v. Chr.) zu zuordnen. Die Untersuchungen gaben zudem Hinweise darauf, dass die Hochfläche nördlich von Köchstedt in vorgeschichtlicher Zeit häufiger zu Bestattungszwecken aufgesucht wurde.
Die heroische Interpretation des Fundes in Verbindung wohl auch mit persönlichen Erlebnissen inspirierten Rittmeister a. D. Hans Ernst Koch, den im Ersten Weltkrieg gefallenen Köchstedtern ein Denkmal zu widmen. Für diesen Zweck wurde das Steingrab 1934 nach damaligen Vorstellungen und aus den Originalbestandteilen wiederaufgebaut. Wahrscheinlich zur monumentalen und repräsentativen Demonstration wurde die Anlage dabei ebenerdig und ca. 1,1 Kilometer südwestlich der Fundstelle am Köchstedter Ortsrand, direkt neben einer Straßengabelung, errichtet. Der fehlerhafte Wiederaufbau erweckt heute den Eindruck einer Megalithgrabanlage, die der Form eines so genannten erweiterten Dolmens ähnelt. Die Mängel der Rekonstruktion sind neben Repräsentationsansprüchen vorwiegend den Angaben des Fundberichts und der dazugehörigen Befundskizze geschuldet (Abb. 3). Es ist davon auszugehen, dass die Befundbeschreibung sowie dessen zeichnerische Darstellung infolge des massiven Bodeneingriffs durch den Pflug verfälscht wurden.
Die freie Rekonstruktion wurde zu einem Heldendenkmal verklärt. Ohne wissenschaftliche Grundlagen und im Sinne einer nationalsozialistischen Ideologie wurde hier eine pseudokontinuierliche Ahnenreihe von den vermeintlich tugendhaften germanischen Vorfahren bis in die Gegenwart konstruiert. Die Errichtung eines Kriegerdenkmals in Hünengrabarchitektur ist für die Köchstedter Region wohl einzigartig. In den nördlicheren Landesteilen Sachsen-Anhalts ist diese Denkmalsform allerdings, auf Grund der dortigen Megalithgrab-Tradition, häufiger anzutreffen.
Trotz der fehlenden Authentizität und seiner verklärten Umdeutung als völkisches Heldenmonument ist das Köchstedter Steingrab bzw. Kriegerdenkmal heute ein wichtiges Zeugnis für die Instrumentalisierung der Erinnerungskultur sowie die Veränderung innerhalb der deutschen Archäologie im 20. Jahrhundert. Bedenkt man darüber hinaus, dass 1925 beim Abtransport der mächtigen Steinblöcke zwei Dampfmaschinen unter mehrmaligem Zerreißen der Stahlseile vonnöten waren, ist es gleichzeitig ein Beleg für das Potenzial der neolithischen Bevölkerung in der Region.
Mike Leske
Literatur:
Mike Leske, Ein Megalithgrab bei Köchstedt? Neu-Interpretation des Befundes und seine ideologische Verklärung, Teutschenthal 2014.