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Ein fast vergessenes Schmuckkästchen – Schloss Beuchlitz und die Muschelgrotte

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„Warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah“.

Mit diesem leicht umgestalteten Zitat von Johann Wolfgang von Goethe wird gern auf die schönen Seiten der eigenen Heimat hingewiesen. Allzu oft wissen wir gar nicht, was sich an Kulturgütern in unserem direkten Umfeld verbirgt. Manchmal befinden sich geschichtlich und kulturell bedeutsame Gebäude unmittelbar vor unserer Haustür. Weil sie aber längst in Vergessenheit geraten sind und aufgrund ihres inzwischen verwahrlosten Zustandes unscheinbar wirken, nehmen wir meist keine Notiz von diesen. Das Beuchlitzer Schloss mit seiner Muschelgrotte ist eines dieser vergessenen Kleinode (Abb. 1).

Abb. 1: Die Ostseite der Schlossanlage mit dem rechts angrenzenden Gartenpavillon. Foto: Anja Ulrich, Juli 2017

Die barocke Schlossanlage befindet sich in der Ortschaft Holleben, genauer im Ortsteil Beuchlitz. Das erstmals 1323 in einer Schenkungsurkunde des Kloster Roßleben als „Pichlitz“ erwähnte Dorf gehörte ab 1444 zum Stiftsbezirk Merseburg. Seit 1939 bildet Beuchlitz mit dem direkt südlich anschließenden Holleben eine politische Einheit.

Zum Beuchlitzer Schloss sowie zu vorangegangenen Gebäuden existieren nur wenige aussagekräftige Quellen. Seit dem 15. Jahrhundert befand sich der sogenannte Beuchlitzer Unterhof zusammen mit weiteren Gütern im Besitz der Familie Sack. Im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts ließ Carl Christoph von Sack ein älteres Gebäude an dieser Stelle zum barocken Herrenhaus umbauen. Ein sekundär verwendeter Inschriftenstein – vermutlich des renaissancezeitlichen Vorgängerbaus – mit der Jahreszahl 1552, ist sichtbar im Mauerwerk des südlichen Schlossflügels verbaut. Als Baumeister der noch immer weitgehend vorhandenen zweigeschossigen Dreiflügelanlage mit typischem Mansardwalmdach wird David Schatz (1668-1750) vermutet. Der sächsische Landbaumeister soll sich 1729 mehrmals in Beuchlitz aufgehalten haben.

Der ursprünglich freistehende, zweigeschossige Gartenpavillon schließt seit dem 19. Jahrhundert direkt an den Nordflügel des Barockschlösschens an. Dieser Gebäudeteil war nicht zusammen mit dem Herrenhaus entstanden, sondern entstammt einer jüngeren Bauphase und war seinerzeit in eine kleine umgebende barocke Parkanlage integriert. Seine Erbauung geht mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Familie Stecher zurück. 1733 erwirbt Johann Paul Stecher (1662-1737) neben umfangreichen Ländereien auch das Rittergut in Beuchlitz. Stecher war königlich-preußischer geheimer Kriegsrat und Senior des evangelischen Kollegiatstifts St.Gangolf zu Magdeburg sowie Mitbegründer und Pächter der Salinen in Halle und Schönebeck. Im Jahr 1737 übernimmt sein Sohn Johann Christoph Stecher (1706-1762) das Anwesen und ist zugleich als alleiniger Pächter der Saline Schönebeck einer der reichsten Männer Preußens.

Abb. 2: Das Innere der Muschelgrotte mit Blick zur großen Wandnische. Foto: Anja Ulrich, Juli 2017

Im ebenerdigen Bereich des Pavillons findet sich ein Ort von besonderer künstlerischer Qualität und hohem kunsthistorischem Wert. In dem als „Muschelgrotte“ bezeichneten, von außen unscheinbar wirkenden, rechteckigen Raum sind alle Wände – einschließlich der Decke – mit größtenteils einheimischen Mineralien, Muscheln, Schneckengehäusen und Schlacken reich verkleidet (Abb. 2). Die Fundgebiete der Mineralien beschränken sich dabei auf Abbaustätten des Harzes und seines Umlandes, vorwiegend des Mansfelder Lands. Auch die anderen verwendeten Materialien stellen bewusst einen unmittelbaren Bezug zur Region mit ihren Naturschätzen her. Gegliedert wird die Naturalienverkleidung durch vier kannelierte Pilaster mit korinthischen Kapitellen aus Stuckmarmor sowie vier schmalen Ecknischen. Ein umlaufender Sockel und ein durchgehendes Gesims bilden die horizontalen Wandabschlüsse. Über dem halbrunden Eingangsportal prangt das Wappen derer von Stecher, welches am 5. November 1754 von König Friedrich II. (dem Großen) anlässlich der Erhebung der Familie in den Adelsstand verliehen wurde (Abb. 3). Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich eine besonders ausgeschmückte halbrunde Nische, in der ursprünglich ein Wasserbecken und ein Spiegel eingelassen waren. Den oberen Teil dieser Wandvertiefung zieren die ineinander verschlungenen Initialen der Dorothea Elenora Lucia von Stecher (D E L S), der Gemahlin von Johann Christoph von Stecher (Abb. 4).

Abb. 3: Das Familienwappen derer von Stecher über dem Eingang zur Muschelgrotte. Foto: Anja Ulrich, Juli 2017

Allgemein versteht man unter dem Architekturbegriff „Grotte“ (ital. Grotta = Höhle) eine einfache, häufig auch bizarre Nachgestaltung einer Höhle. Erste kleine freistehende Grottenbauten sind aus der italienischen Renaissance bekannt. Auf deutschen Boden ist der Grottensaal von Matthäus Daniel Pöppelmann im Dresdner Zwinger von 1714 einer der ersten und Vorbild für spätere Grottennachahmungen – wahrscheinlich auch für den Muschelsaal im Neuen Palais in Potsdam. Ab der Mitte des 17.- bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gehörte die Grotte unmittelbar zur Ausstattung der „Lust- und Tiergärten“ im barocken Schlossbau.

Abb. 4: Die große Wandnische mit den Initialen von Dorothea Elenora Lucia von Stecher (D E L S). Foto: Anja Ulrich, Juli 2017

Die Beuchlitzer Muschelgrotte folgt der Tradition der Sala terrena (ital. Gartensaal), einem im Erdgeschoss liegenden Saal, welcher von der Gartenseite aus über eine Treppe bzw. über Sandsteinstufen betreten wird. Ein Erbauer des Pavillons bzw. ein sogenannter „Grottenmaister“ ist nicht überliefert. Die Entstehung dieser kunsthistorischen Rarität wird oft mit dem Major der königlichen Leibgarde Christoph von Billerbeck (1714-1790) in Verbindung gebracht. Aufgrund seiner militärischen Verdienste im preußischen Heer war dieser zu einem Günstling Friedrichs des Großen aufgestiegen. Da die beiden erbberechtigten Töchter der Stechers bereits mit sächsischen Adligen verlobt waren, drohte der Verlust des Familienvermögens an das Nachbarland. Um dies zu verhindern soll der Preußenkönig die Ehe des Majors mit Karoline von Stecher eingefädelt haben. Die arrangierte Hochzeit fand im Februar 1755 statt und beförderte von Billerbeck zum neuen Herrn des Rittergutes Beuchlitz. Beleg für die enge Verbindung zwischen dem preußischen Monarchen und Christoph von Billerbeck ist eine Eintragung im Register der Beuchlitzer Kirche aus dem Jahr 1757, in der Friedrich II. als Pate bei der Geburt des ersten Sohnes des Majors erscheint. Nicht zuletzt aufgrund der Beziehung Billerbecks zum preußischen Hof wird der Muschelsaal im Neuen Palais in Potsdam immer wieder als Vorbild der Beuchlitzer Grotte angeführt. Die eingelassenen Initialen der Gattin von Johann Christoph von Stecher sowie dessen Familienwappen deuten allerdings vielmehr auf eine Entstehungszeit kurz vor der Übernahme des Gutes durch Major von Billerbeck hin. Da mit dem Potsdamer Schlossbau erst nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges – im Jahr 1763 – begonnen wurde, scheiden sowohl Christoph von Billerbeck als Auftraggeber, als auch eine mögliche Anlehnung an den Muschelsaal im Neuen Palais aus.

Im 19. und 20 Jahrhundert wechselte die Schlossanlage mehrfach den Besitzer. Dabei wurden auch umfangreiche Umbauten vorgenommen. Zur Einrichtung mehrerer Wohnungen wurden die großflächigen Zimmer im Inneren des Barockbaus durch eingezogene Wände verkleinert. In diesem Zusammenhang steht auch die Errichtung eines halbrunden Treppenturms im Ehrenhof (auf der Westseite) der Anlage. Dieser musste allerdings vor wenigen Jahren aufgrund von Baufälligkeit ersatzlos abgetragen werden. Seither verschließt eine Holzwand notdürftig den oberen Teil der ehemaligen Zugangssituation (Abb. 5). Noch um 1930 soll sich im Schloss ein Gemälde Friedrichs des Großen vom preußischen Hofmaler Antoine Pesne (1683-1757) sowie weitere Werke des Künstlers befunden haben. Nach der Enteignung des Ritterguts und im Zuge der Bodenreform nach 1945 erlebte das Gebäude-Ensemble weitere tiefgreifende Veränderungen. Anfänglich wurden hier Vertriebene aus den Ostgebieten untergebracht. In der unteren Etage des Anwesens gab es zudem zeitweise eine Arztpraxis. Auch im Außenbereich wurden Anbauten zugefügt. Da für Sanierung oder Restaurierung keine finanziellen Mittel zur Verfügung standen, war das Beuchlitzer Schloss dem langsamen Verfall preisgegeben. Erst Ende der 1990er Jahre erwachte die denkmalsgeschützte Barockanlage allmählich aus ihrem Dornröschenschlaf. Im Rahmen der Dorferneuerung und Dank der Mittel der Deutschen Stiftung Denkmalschutz konnte 1998/99 das gesamte Dachtragewerk saniert werden. Dabei wurden auch die Dachgauben rekonstruiert. Mitglieder des Vereins der „Freunde der Bau- und Kunstdenkmale Sachsen-Anhalt e.V.“ erkannten die kunstgeschichtliche Bedeutung der Muschelgrotte und unternahmen zwischen 2005 und 2007 erste Sanierungen. Am 9. September 2007 konnte die Grotte am „Tag des offenen Denkmals“ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Seit Mitte 2015 kümmert sich der knapp ein Jahr zuvor gegründete Heimatverein Holleben im Rahmen seiner Möglichkeiten um den Erhalt der Dreiflügelanlage. Unter Einsatz von fast 6000 Euro gesammelter Spenden konnten bisher neben dem Eingangsbereich auch der Fensterladen der Muschelgrotte komplett erneuert werden. Angrenzende Räumlichkeiten wurden gesäubert und von Schutt befreit. 2016 wurde zudem ein Ingenieurbüro mit der Erstellung eines Erhaltungsplans beauftragt. Darüber hinaus wird die Grotte regelmäßig für Besucher geöffnet.

Abb. 5: Die Westseite der Beuchlitzer Schlosses mit dem Ehrenhof. Foto: Mike Leske, August 2017

Obwohl die historische Schlossanlage im Laufe der Zeiten überformt wurde und der einstige Park im ursprünglichen Kontext nicht mehr erlebbar ist, stellt das barocke Ensemble heute das herausragende Baudenkmal innerhalb der Einheitsgemeinde Teutschenthal dar! Die Beuchlitzer Muschelgrotte geriet nach dem Zweiten Weltkrieg in Vergessenheit und diente dabei zeitweise als Abstellraum. Die Raumgestaltung hat sich trotzdem gut und in großen Bereichen sogar vollständig erhalten. Zwar fehlen heute Teile der Verkleidung und auch die ursprüngliche Wirkung des Raumes (besonders die der Kristalle) leidet aufgrund von Verschmutzungen, welche vor allem aus einer zwischenzeitlichen Nutzung als Kohlenlager resultierten. Dennoch ist dieses Denkmal für Mitteldeutschland kunstgeschichtlich eine Besonderheit. In der näheren Umgebung lassen sich Beispiele nur aus Burgscheidungen, Meuselwitz oder Altenburg aufführen, welche sich allerdings künstlerisch nicht mit Beuchlitz vergleichen lassen. Nach Meinung der Kunsthistorikerin Claudia Peter bildet der Gegensatz des naturalistischen Wandschmucks zu den stuckierten Oberflächen ein einmaliges Wechselspiel von künstlich Geschaffenem und Naturformen.

Doch wie geht es mit dem barocken Gebäudekomplex weiter? Bis heute befinden sich im Haupthaus Mietwohnungen der Gemeinde. Zwar ist der Hollebener Heimatverein nach wie vor bestrebt, die Anlage zu sanieren und zu erhalten, doch die spärlichen finanziellen Möglichkeiten lassen nicht einmal das Nötigste zu. Die Gemeindeverwaltung sieht zudem einen Verkauf des Anwesens vor. Aus diesem Grund kam ein bereits angedachter Nutzungsvertrag zwischen dem Heimatverein und der Gemeindeverwaltung nicht zu Stande. Die Zukunft der Schlossanlage mit seiner Muschelgrotte wird von den Absichten eines eventuellen Käufers abhängen. Nur wenn dieser den Wert und die Bedeutung dieses Baudenkmals zu schätzen weiß, wird dieses Schmuckkästchen auch eine Perspektive haben.

Die Muschelgrotte kann nach vorheriger Anfrage besichtigt werden. Kontaktmöglichkeiten finden Sie über die Internetseite des Heimatvereins Holleben: www.heimatvereinholleben.de.

Mike Leske

Literatur:

  • Joachim Kampe u.a., Streifzüge durch die Geschichte Hollebens, Leipzig 2016.
  • Claudia Peter, Holleben, Muschelgrotte des Beuchlitzer Schlößchens. In: Gefährdete Baudenkmals in Sachsen-Anhalt, Nr. 41, Halle 2007.
  • Barbara Rietzsch, Künstliche Grotten des 16. und 17. Jh. Formen der Gestaltung von Außenbau und Innenraum an Beispielen in Italien, Frankreich und Deutschland. In: Beiträge zur Kunstwissenschaft, Bd. 17, München 1987.

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