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Als die Erde bebte… – Die Gebirgsschläge im Teutschenthaler Kalibergbaurevier

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Am 11. September 1996 um 5:36 Uhr bebte in Teutschenthal und Umgebung knapp 20 Sekunden lang die Erde und riss die hiesige Bevölkerung aus dem Schlaf. Die Erschütterungen waren rund 100 Kilometer weit spürbar und wirkten an der Oberfläche wie ein Erdbeben der Stärke 4,8 auf der Richterskala.

Teutschenthal – eine alte Bergbauregion

Was war geschehen: Der Teutschenthaler Raum ist eine alte Bergbauregion. Bereits seit dem Ende des 17. Jahrhunderts wurde hier nachweislich Braunkohle, über- wie auch untertage, abgebaut. Nach ersten Erkundungsbohrungen im Jahr 1902 konnten zudem große Kalisalzvorkommen im Gebiet festgestellt werden. Mit der Errichtung des Kaliwerkes „Krügershall“ (Abb. 1) wurde fünf Jahre später mit der Salzförderung aus einer vorläufigen Endteufe (bergmännisch für Endtiefe) von 647 Metern begonnen. Benannt war das Werk nach Friedrich H. Krüger, dem Aufsichtsratsvorsitzenden der 1905 gegründeten Aktiengesellschaft Krügershall AG. 1982 wurde die Kalisalzförderung in Teutschenthal eingestellt. Zurückblieben ca. 12 Millionen Kubikmeter Hohlräume, die den ehemaligen Palast der Republik 24 Mal hätten fassen können!

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Abb. 1: Das Kaliwerk “Krügershall” um 1930. Foto: Leske 2016, S. 163

Kali wird in einem Kammer-Pfeiler-Verfahren abgebaut. Das heißt, Pfeiler bleiben stehen und stützen die Grube. Das Salz dieser Pfeiler dann aber auch nicht mehr abgebaut werden. Die Produkte der Kaliförderung waren in der rohstoffarmen DDR allerdings eine der wenigen lukrativen Exportwaren. Um die Produktion zu steigern, wurden in den 70er Jahren die Fördermethoden verändert und die Pfeilerstärken verringert. Infolge des Raubbaus konnten die Abbaufelder, welche zwischen 1964 und 1982 angelegt worden sind, dem Druck nicht mehr standhalten.

An jenem Septembermorgen barsten in einer Kettenreaktion innerhalb weniger Sekunden ca. 700 Pfeiler und brachten das gesamte Ostfeld der Grube Teutschenthal auf einer Fläche von 2,5 Quadratkilometer zum Einsturz. Die Tagesoberfläche hatte sich dabei über dem Zentrum des Bruchfeldes schlagartig um ca. 50 Zentimeter gesenkt und die weithin spürbare Erschütterung ausgelöst. Die Bergleute der Frühschicht waren glücklicherweise noch nicht in den Schacht eingefahren. Wären die Schockwellen des Gebirgsschlags nur ein wenig stärker gewesen, hätte das Beben besonders in Halle-Neustadt zu einer verheerenden Katastrophe geführt. Angesichts dem was hätte passieren können, blieben die Schäden zum Glück vergleichsweise gering. In Zscherben stürzte die Außenfront eines Wohnhauses teilweise ein (Abb. 2). Daneben erlitten auch weitere Gebäude in den umliegenden Ortschaften Risse in den Wänden. Zahlreiche Dachziegel fielen herunter und Schornsteine wurden beschädigt. In Teutschenthal waren 1900 Haushalte vorübergehend ohne Strom, weil Fernleitungen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Am Strandbad Pappelgrund zwischen Teutschenthal und Zscherben rutschte ein Teil des Ufers ab, der Wasserpegel stieg um rund 60 Zentimeter an, zahlreiche Bäume stehen seither im Wasser. Die Sachschäden an der Oberfläche wurden später auf 2 bis 3 Millionen D-Mark geschätzt. Die Betreiberfirma GTS selbst verlor im zerstörten Grubenfeld Ausrüstung und bauliche Anlagen im Wert von rund 9,7 Millionen D-Mark. Die Katastrophe kam jedoch nicht aus heiterem Himmel. Im August 1996 warnte ein Gutachten des Instituts für Gebirgsmechanik Leipzig vor einem eventuellen Gebirgsschlag.

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Abb. 2: Teileinsturz der Außenfront eines Wohnhauses in Zscherben, infolge des Gebirgsschlages Teutschenthal 1996. Foto: G. Bauer, Mitteldeutsche Zeitung

Gebirgsschläge im Lauf der Geschichte: Zeugnis des Raubbaus an der Umwelt

Auch aufgrund früherer Grubenunglücke kannte man bereits die möglichen Konsequenzen des Raubbaus. Ein erster Gebirgsschlag ereignete sich im Januar 1916 im Angersdorfer Grubenfeld. Ein zweiter folgte am 24. Mai des Kriegsjahres 1940 auf Teutschenthaler Seite. Um 21:07 wurden die 49 arbeitenden Bergleute in der Grube überrascht. Innerhalb weniger Sekunden stürzte fast das gesamte unterirdische Gewinnungsfeld von 600.000 Quadratmetern in 610 bis 650 Metern zusammen. Das darauffolgende Beben mit 4,3 auf der Richterskala ließ selbst die Kirchturmspitze der 20 Kilometer entfernten Elisabethkirche in Halle herabstürzen. 42 Bergleute wurden in einem Stollen eingeschlossen. Die eingeleiteten Rettungsarbeiten blieben erfolglos und die Suche wurde nach Tagen eingestellt. Als Unglücksursache wurden später zu schmale Pfeiler und eine mangelnde Verfüllung festgestellt. Erst Anfang der 1950er Jahre konnte ein Durchbruch zum verbrochenen Grubenbereich angelegt werden. Dabei wurden auch die toten Kalikumpel entdeckt. Die Bedingungen im Kalischacht hatten die Leichname regelrecht mumifiziert. Die Bergmänner waren nicht durch herabstürzendes Gestein ums Leben gekommen, sondern verdurstet. Ein Gedenkstein vor dem ehemaligen Kaliwerk erinnert heute an die 42 Opfer des bisher größten Grubenunglücks in der regionalen Bergbaugeschichte (Abb. 3).

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Abb. 3: Gedenkstein für die Opfer des Grubenunglücks von 1940 im Ortsteil Teutschenthal-Bahnhof. Foto: Mike Leske, Dezember 2016

Auch wenn das Bergamt keine akuten Anzeichen für einen erneuten Gebirgsschlag sieht, ist die Gefahr möglicher Gebirgsschläge längst nicht gebannt. Das Verfüllen der durch den Kalibergbau entstandenen Hohlräume ist nach wie vor unabdingbar und in zeitlichen Grenzen geboten. Seit 1992 führt die Firma GTS den bergmännischen Versatz der verbliebenen untertägigen Hohlräume durch. Auf dem Werksgelände entstand so eines der modernsten Versatzbergwerke Europas. In Form von Schüttgut, so genannte Big Packs, oder als Versatzsuspention (so genannter Dickstoff) werden dabei bergbaufremde, mineralische Abfälle unterschiedlicher Belastungsklassen aus industriellen Prozessen für die Stabilität der untertägigen Hohlräume versetzt. Bei täglich bis zu 900 Tonnen Versatzmaterial wird die Sicherungsmaßnahme im Teutschenthaler Revier noch ca. 20 Jahre in Anspruch nehmen.


Literatur

  • Beeg / M. Gerlach: Der Teutschenthaler Gebirgsschlag vom 11. September 1996. In: Landratsamt Saalkreis, Heimat – Jahrbuch Saalkreis 1997, Band 3, Seite 82–85, Saalkreis 1997.
  • GTS Grube Teutschenthal Sicherungs GmbH & Co. KG (Hrsg.), Grube Teutschenthal – 100 Jahre Kali-und Versatzbergwerk, Halle 2005.
  • Mike Leske, Schöne Grüße – Ansichtskarten und Lithografien aus Eisdorf, Teutschenthal und Teutschenthal-Bahnhof, Teutschenthal 2016.
  • Dokumentarfilm: DDR – Kali fördern bis zum großen Knall, deutsche Erstausstrahlung 23.03.2010, MDR.
  • Internet: http://gebirgsschlag.de/

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