Heimatfreund: Was uns alte Scherben über die Heimatgeschichte verraten können – Am Beispiel des Eisdorfer Pfarrhauses
„Scherben bringen Glück!“ Handelt es sich dabei gar um Scherben aus längst vergangenen Tagen, geraten ganz besonders die Archäologen in Verzückung. Was für den Laien meist wertlos und unbedeutend erscheint, ist für diese Berufsgruppe oft die einzige Quelle zur Erschließung geschichtlicher Zusammenhänge.
Als mir im Sommer 2013 eine kleine Schachtel voller alter Keramikscherben überreicht wurde, geriet daher auch meine Wenigkeit ins Schwärmen. Das Konvolut enthielt zahlreiche Fragmente unterschiedlichster Beschaffenheit und Zeitstellung (Abb. 1). Neben Gebrauchskeramik des 18. bis 20. Jahrhunderts aus Irdenware und Steinzeug, erregten besonders die bleiglasierten und bemalten Scherben des späten 16. und 17. Jahrhunderts mein Interesse.
Die keramischen Fragmente hatte Herr Marco Weber bei Erdarbeiten an seinem Haus – der alten Pastorei in Eisdorf (Abb. 2) – gefunden. Das im Jahr 1699 errichtete Pfarrhaus zählt zu den ältesten noch vollständig erhaltenen Profanbauten innerhalb der Einheitsgemeinde Teutschenthal!
So wie die Pfarre einst Spiegelbild einer jeden Gemeinde war, spiegeln die Keramikfunde heute den Lebensstandard seiner einstigen Bewohner wider. Der evangelische Pfarrhof folgte dem Vorbild Luthers und war neben dem Wohnraum der Pfarrfamilie auch ein Zentrum für das Gemeindeleben, Veranstaltungsraum und Bildungsstätte in einem.
Wie alte Aufzeichnungen zeigen, war das „alte Eisdorfer Pfarrhaus“ zum Ende des 17. Jahrhunderts bei einer Überschwemmung des Würdebaches mit weiteren Häusern des Dorfes weggerissen worden. Die gefundenen Scherben erlauben uns zaghafte Vermutungen zur Innenausstattung dieses Vorgängerbaus anzustellen. Besonders aussagekräftig ist hier das Bruchstück einer Ofenkachel, welche ein Bild (Abb. 3). Dieses Kachelfragment, aus grünglasierter Irdenware, ist typisch für das letzte Drittel des 16. Jahrhunderts. Das Stück ist von außerordentlich hoher Qualität und zeigt die Darstellung einer Adelsperson mit zeitgemäß typischen Mühlsteinkragen. Als Teil eines prächtigen Renaissanceofens – der damals vor allem im ländlichen Bereich nur in wenigen Gebäuden anzutreffen war – passt dieser Fund gut in das Interieur eines frühneuzeitlichen Pfarramtes.
Wie uns das Bruchstück einer weiteren Ofenkachel annehmen lässt, war offensichtlich auch der Neubau von 1699 mit einem standesgemäßen Kachelofen ausgestattet. Allerdings erreichte dieser nicht mehr die Qualität seines Vorgängers. Die barocke Ofenkachel aus dem frühen 18. Jahrhundert mit einer typisch grünen Glasierung auf weißen Grund, gehörte mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem ausladenden Früchteornament. Ob dieser Barockofen im Zuge späterer Umbaumaßnahmen abgebrochen wurde oder er den Bewohnern nicht mehr zeitgemäß erschien, ist heute nicht mehr zu klären.
Im Laufe seiner über 300jährigen Geschichte hatte auch das „neue Pfarrhaus“ zahlreiche Katastrophen zu überstehen. Neben Würde-Hochwassern gab es auch mindestens zwei Brände im Gebäude, die sich heute noch anhand von Spuren am Gebälk offenbaren.
Nach dem Auszug der letzten Pfarrersfamilie in den 1960er Jahren war der Barockbau an verschiedene Parteien vermietet. Ein Teil der Räumlichkeiten diente daneben den Mitgliedern der Eisdorfer Kirchengemeinde für Veranstaltungen verschiedenster Art. Besonders im Winter wurde der Gottesdienst hierher verlegt, wenn es in der gegenüberliegenden St. Johanniskirche zu kalt war.
Trotz der unentwegten Nutzung des Gebäudes nagte der Zahn der Zeit bereits bedenklich an ihm. Ein barocker Taubenturm im Garten des Hauses war bereits in den 1960er Jahren wegen Baufälligkeit abgerissen worden. Dagegen ist die historisch wertvolle und aus der Erbauungszeit stammende Bauinschrift am Dachgesims über dem Haupteingang glücklicherweise erhalten geblieben. Sie verkündet, dass das Pfarrhaus einst unter Pfarrer Martin Braun erbaut worden ist.
Da Erhaltung und Unterhalt des denkmalgeschützten Fachwerkbaus nicht mehr vom Eisdorfer Kirchengemeinderat zu tragen waren, verkaufte man das Gebäude 2011 an Herrn Weber und dessen Lebensgefährtin Frau Vicky Danders. Trotz aller Widrigkeiten, die solch ein altehrwürdiger Bau mit sich bringt, war mit den neuen Besitzern erfreulicherweise ein Pärchen gefunden worden, dass den Wert und die Bedeutung dieses Denkmals zu schätzen weiß und es liebevoll zu erhalten versucht.
Soweit zur Geschichte des Eisdorfer Pfarrhauses und zurück zu den gefunden Scherben:
Ein Pfarrer war mit seiner Familie von den Abgaben seines zugehörigen Pfarrsprengels abhängig. Besonders aber in Krisenzeiten musste der Lebensunterhalt zusätzlich durch Selbstversorgung wie Ackerbau und Viehhaltung gesichert werden. Erst ab dem 19. Jahrhundert erhielten Pfarrer ein geregeltes Einkommen. Auch solche sozialen Schwankungen lassen sich anhand der gefundenen Alltagskeramik interpretieren. Während die bleiglasierten Fragmente des 16. und frühen 17. Jahrhunderts relativ reich bemalt sind, wirken die Scherben des 18. Jahrhunderts durch ihre nüchterne Zweckmäßigkeit sehr schlicht und einfach. Eventuell stehen diese Beobachtungen mit dem Dreißigjährigen Krieg und dessen Folgen in engen Zusammenhang.
Liebe Heimatfreunde, anhand dieses kleinen Beispiels sehen Sie, wie selbst unscheinbarste Funde einen tiefen Einblick in unsere Historie gewähren können. Sollten Sie also selber einmal derartige Entdeckungen machen oder bereits gemacht haben, zögern Sie nicht und melden Sie solche Funde dem zuständigen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie in Halle. Helfen Sie dadurch etwas Licht ins Dunkel unserer Heimatgeschichte zu werfen!
Mike Leske
(Stand: 13. August 2017)