Leserbrief: Wenn Bürokraten über die Bildung von Kindern entscheiden
“Der Irrsinn eines Schulwegs” – Offener Brief an den Kreistag von unserer Leserin Jule Punkton. Wir merken an: Die folgenden Aussagen sind die Meinung der Autorin, nicht die der Redaktion. Im Rahmen unserer Netiquette erlauben und fördern wir einen ganzheitlichen Austausch von Meinungen und freuen uns auf Feedback.
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Vorwort
Immer lauter werden die Stimmen, dass das Bildungsniveau in Deutschland auf dem absteigenden Ast ist, dass Kinder nicht mehr auf die heutige Welt und den Arbeitsmarkt vorbereitet würden; dass es an allen Ecken und Enden an Fachkräften mangelt. Von Pisa wollen wir gar nicht erst anfangen. Veraltete Schulkonzepte, die starr wie ein Korsett die Preußischen Vorstellungen von Lehrplan und Unterrichtsgestaltung den Kindern aufgezwungen werden, passen nicht mehr in die heutige Zeit. Glücklicherweise hatte man vor einigen Jahren die freie Wahl der Schulform eingeführt, die den Eltern ermöglichte, die ihrer Ansicht nach passende Schulform für ihr Kind, je nach Konzepten, Angeboten und auch nach dem Image der Schule, selbst zu wählen.
Einzugsbereich: Sekundarschule, Waldorf-Schule, Gymnasium, Gemeinschaftsschule usw.
Dabei ist es unerheblich, ob es sich hierbei um eine Sekundarschule, Waldorf-Schule, Gymnasium, Gemeinschaftsschule usw. handelt. Das Zauberwort ist dabei der Einzugsbereich. Jetzt sollte man meinen, dass der Einzugsbereich ein gewisser Radius um den Wohnort des Kindes ist. Weit gefehlt! So wurde im Jahr 2016 im Kreistag ein neues Schulnetz für die Schulform „Gemeinschaftsschule“ für den Saalekreis beschlossen. Der Irrsinn wird somit am deutlichsten durch die vom Kreistag erstellte Darstellung.
Warum man Kindern einen Schulweg von bis zu 2 Stunden mit dem ÖPNV zumutet und Eltern vor eine logistische Herausforderung stellt? Warum der Landkreis lieber horrende Fahrtkosten im Kauf nimmt, anstatt dieses Geld direkt in die Förderung von Schulprojekten, AGs und somit in die Bildung der Kinder zu investieren? Diese Fragen kann uns wohl nur der Kreistag beantworten.
Ich zitiere aber gerne aus „2. Fortschreibung Schulentwicklungsplan der Schuljahre 2014/2015 – 2018/2019“:
“Mit dieser Aufteilung soll darauf eingewirkt werden, dass durch das neue Schulnetz der Gemeinschaftsschule kleine Sekundarschulstandorte (z.B. Teutschenthal) nicht beeinträchtigt werden (Schülerzahlen)”.
Warum beschäftigt man sich nicht eher mit den Gründen der drohenden sinkenden Schülerzahlen in der benannten Sekundarschule „Teutschenthal“? Aktuell ist es so, dass meine Tochter mit einer Ausnahmegenehmigung die Gemeinschaftsschule „Goethe-Schule“ in Bad Lauchstädt besuchen darf. So weit so gut. Keinerlei Busverbindung direkt zur Schule oder von der Schule nach Teutschenthal ist da nicht unbedingt ein Argument dafür.
Aber wir hatten uns bewusst gegen Teutschenthal entschieden, da diese Schule in unseren Augen wenig bis keine Angebote zur persönlichen Entwicklung und der Entwicklung der eigenen Interessen aufweisen konnte. Außerdem herrscht hier wie eingangs erwähnt, noch eher der Geist von 1930 und ich sehe keine Entwicklung ins 21. Jahrhundert. Da hilft auch die versprochene Digitalisierung der Klassenräume nicht. Denn für mich ist eine fortschrittliche Schule nicht die, die die beste Technik an der Hand hat.
Fortschrittlich ist eine Schule, die es verstanden hat, die Anforderungen, unserer heutige Gesellschaft aufzunehmen und in ein vernünftiges Konzept umzusetzen; Schwächen der Gesellschaft kritisch zu hinterblicken und Maßnahmen zum entgegenwirken zu entwickeln-Stichwort Mobbing und Gewalt.
Fortschrittlich ist eine Schule, die Stärken sowohl in den Unterricht einfließen lassen, als auch in ein entsprechendes außerschulisches Angebot einbinden kann. Das kann die Entwicklung des kindlichen Selbstwertgefühls sein oder auch Förderung in künstlerischen, technischen oder medialen Bereichen.
All dies kann ich zum aktuellen Zeitpunkt leider in Teutschenthal weder sehen noch in der nahen Zukunft erkennen. Mir drängt sich der Gedanke auf, dass zu Beginn des Schuljahres einfach der Staub der letzten 30 Jahre vom Lehrstoff gepustet wird und jede neue Form der Lernstoffmethoden im Keim erstickt wird, weil „wir das schon immer so gemacht haben!“.
Fahrtkosten und Fahrtenorganisation
An dieser Stelle beginnt schon eine Art Satire, die seinesgleichen sucht.
„Wenn ihre Tochter nach Bad Dürrenberg gehen würde, dann würden wir von der Kreisverwaltung den Transport organisieren und auch zahlen.“.
Ok, soweit hatte ich das akzeptiert, da wir ja immer noch beim Thema Einzugsgebiet sind. Dabei ist natürlich absolut unerheblich, dass zwischen Teutschenthal und Bad Dürrenberg 40 km liegen und zwischen Teutschenthal und Bad Lauchstädt gerade einmal 10 km. Was kostet die Welt? Der Landkreis scheint es ja zu haben. Und wen interessiert denn schon, dass die Kinder unter Umständen bis zu 1,5 Stunden unterwegs sein könnten, denn es ist ja nicht gesagt, dass sie auch sofort nach Schulschluss in der Tour eines privaten Fuhrunternehmens berücksichtigt sind. Somit obliegt die Organisation und Finanzierung des Transports bei uns abtrünnigen Eltern, die trotz aller Widrigkeiten eine Beschulung in Bad Lauchstädt ermöglicht haben.
Ich will nicht verschweigen, dass der Landkreis durchaus gewillt ist die Fahrtkosten jährlich rückwirkend zu zahlen und zwar maximal die theoretisch angefallen Kosten für die Beschulung in der für das Einzugsgebiet festgelegten Schule. Wie absurd es nun wird, kann jeder sehen, der der Grundrechenarten mächtig ist: Zum viermal so weit entfernten Bad Dürrenberg sind somit aktuell und laufend die Mittel für den Transport zur Schule vorhanden, aber mit der Frage nach einer Kostenerstattung für den Transport der Kinder 10 km entfernte Bad Lauchstädt lässt man die Eltern mit vagen Aussagen im Regen stehen. Es drängt sich die Frage auf, was man den Schulen so alles zu Gute kommen lassen könnte, wenn man die Einzugsbereiche sinnvoll festlegen würde und wenn der ÖPNV involviert werden würde, um zumindest Verbindungen während der Schulzeiten zu ermöglichen?
Beste Schulbildung
Dass es im Interesse aller Eltern zunächst ist, den Kindern die bestmögliche Schulbildung zukommen zu lassen und nicht der Erhalt einer Schule, die diesen Interessen entgegensteht, im Vordergrund steht, sollte eigentlich klar sein. Dass man sinkenden Schülerzahlen über bessere Konzepte und attraktivere Angebote entgegen treten könnte und nicht über eine künstliche Verteuerung des Schulweges, ist ein völlig falscher Ansatz. Natürlich muss man sich bei dieser Vorgehensweise über die reine Schülerzahl in Teutschenthal auch zukünftig – unabhängig vom Qualitätsstandard der Schule – keine Gedanken machen. Allerdings sollte man sich auch überlegen, welchen Weg eine solche Schule geht- wenn der Besuch über finanzielle Belastungen gesteuert wird. Teutschenthal wird somit ein “Auffangbecken” für Kinder, deren Eltern weder die finanziellen noch logistischen Möglichkeiten haben, eine andere – für ihr Kind womöglich viel besser geeignete – Schule zu wählen.
Hier zeigt sich einmal mehr, wie kurzsichtig unsere Vertreter in den Kreistagen und Gremien sind. Wenn man das mit etwas wachen Augen geplant und entschieden hätte, würden die unnötigen Kosten für einen Besuch in Bad Dürrenberg weg fallen und man könnte den Schulen Gelder zur Verfügung stellen, um ihre Angebote und Konzepte attraktiv zu gestalten und somit auch das Problem der sinkenden Schülerzahlen in den Griff bekommen. Vielleicht regt dieser offene Brief doch einmal an, um noch einmal über diese Fehlentscheidung im Kreistag nachzudenken.